J Gestapo-Leitstelle und die Gruppe Hannemann
von Matthias Diefenbach und Gerhard Hoffmann
Ein neobarockes Gebäude mit der Adresse Scharrnstraße 59 füllt das gesamte Bebauungsviertel zwischen Großer Scharrnstraße, Regierungsstraße, Priestergasse und Logengasse in Frankfurt (Oder) aus und dient heute als Hauptgebäude der Europa-Universität Viadrina. Im ursprünglich preußischen Regierungsgebäude in der Großen Scharrnstraße 59 in Frankfurt (Oder) befindet sich zwischen 1935 und 1945 die Geheime Staatspolizei - die Gestapo. Sie hat ihre Dienststellen im zweiten Stock. Erbaut wurde das Gebäude 1898 bis 1903 für den Regierungsbezirk Frankfurt an der Oder, der neben weiten Teilen des heutigen Ostbrandenburg auch fast die gesamte heutige polnische Wojewodschaft Lubuskie umfasst. Zu DDR-Zeiten wird von hier aus der Bezirk Frankfurt verwaltet. Seit den 1990er Jahren dient das Gebäude der wieder gegründeten Europa-Universität Viadrina als Hauptgebäude. Es hat die labyrinthische Form einer Acht, mit zwei Innenhöfen. In einem der Höfe ist jetzt die Universitätsbibliothek untergebracht.
Die Gestapo ist eines der wichtigsten Mittel zur Umsetzung der staatsterroristischen Ziele der nationalsozialistischen Regierung. Ihr obliegt neben der radikalen Ausschaltung jeden Widerstandes auch die Verfolgung der Juden. Sie organisiert in Zusammenarbeit mit Parteistellen die sogenannte "Reichskristallnacht", erfasst die jüdischstämmige Bevölkerung in Listen, nimmt die Verhaftungen vor und organisiert die Deportationen in Ghettos und Vernichtungslager. Jede Gestapoleitstelle verfügt über untergeordnete Dienststellen für rein lokale Vorgänge. Diese befindet sich in Frankfurt in der Jüdenstraße 7, im arisierten Kaufhaus Meyer. Weiterhin kann die Gestapo auf die Ressourcen des gesamten Polizeiapparates zugreifen, von der Schutzpolizei bis zur Kripo, um die staatspolitischen Vorgaben umzusetzen.
1936 wird sie dem Reichsführer SS Heinrich Himmler unterstellt und seit 1939 fungiert sie als Abteilung IV im Reichsicherheitshauptamt Man plant eine Verschmelzung der deutschen Polizei mit der SS. Sie bleibt dennoch bis 1945 eine eigenständige Behörde. Ihre Verfügungen, wie Schutzhaft oder vorläufige Verhaftung, die meist monate- oder jahrelange Lagerhaft, zu Kriegsende zunehmend auch unmittelbare Hinrichtung bedeuten sind nicht anfechtbar und werden oft in polizeieigenen lokalen Konzentrationslagern, wie dem sogenannten Arbeitserziehungslager Oderblick vollstreckt.
Gestapo und deutsche Polizei sind 1945 sehr gründlich in der Vernichtung ihrer Spuren. In Frankfurt werden die Akten in den letzten Kriegstagen verbrannt. Viele Verbrechen, wie die Deportation der letzten Frankfurter Juden aus dem Judenhaus, dem früheren jüdischen Krankenhaus, sind nicht mehr rekonstruierbar. Sie sind zum Teil aber aus dem polizeilichen Schriftverkehr mit anderen Behörden oder aus Erinnerungen überlebender Opfer bekannt. Die Gestapo geht schematisch anhand bürokratisch erstellter Listen vor oder stützt sich auf häufig vorkommende Denunziationen aus der Bevölkerung. In Verhören foltert die Gestapo systematisch. Während des Krieges werden ihre Kapazitäten zum größten Teil von der repressiven Aufrechterhaltung des Systems der ausländischen Zwangsarbeit eingenommen. Dennoch bleibt die sogenannte Endlösung der Judenfrage einer ihrer Schwerpunkte. 1944 wendet sie sich den schon sehr stark diskriminierten, aber bisher nicht deportierten Juden in christlicher Mischehe zu. Belegt ist hierzu in Frankfurt die Ermordung des früheren Rechtsanwaltes Hammerschmidt aus Cottbus während einer fadenscheinigen vorläufigen Verhaftung.
Schauen wir uns beispielhaft einen hiesigen staatspolizeilichen Vorgang genauer an, und zwar die Zerschlagung der verdeckt arbeitenden Gruppe Hannemann. Hierzu verlassen wir den jüdischen Kontext. Es geht um den politischen Widerstand der Kommunisten in Frankfurt in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft.
Max und Helene Hannemann heiraten 1927, einen Tag vor Weihnachten. Sie kommen aus einfachen proletarischen Verhältnissen und arbeiten in der Frankfurter Steingutfabrik Pätsch. Max ist ein umgänglicher Mensch. Er liebt die Natur, den Gesang im Chor, er wandert gern und spielt gut Schach. Als Arbeiter ist er geachtet, seine Kolleginnen und Kollegen vertrauen ihm und wählen ihn in den Betriebsrat. Anlässlich eines Streiks 1930 gehört er zur Streikleitung und wird deshalb nach einer Aussperrung nicht wieder eingestellt.
Als Arbeitslose besuchen Max und Helene auch Versammlungen der Kommunistischen Partei Deutschlands. Sie nutzen die Bildungsangebote der Partei und werden Mitglieder. Als am 27. Januar 1933 ihr Sohn Konrad geboren wird, ist Helene Frauenleiterin der Frankfurter KPD. Max wählen die Genossinnen und Genossen zu ihrem Politischen Leiter in Frankfurt (Oder), nachdem die führenden Funktionäre unmittelbar nach der Machtübergabe an die Nazis verhaftet worden sind.
Mit organisatorischem Geschick und verantwortungsvoller Umsicht führt Max die Frankfurter KPD in die Illegalität. Es entsteht eine wirksam arbeitende Widerstandsorganisation, der bis zu sechzig Menschen angehören. In Kleingruppen organisiert, verteilen sie Flugblätter mit Aufrufen zum Widerstand gegen die Nazis, sie malen antifaschistische Losungen, kleben Plakate und verteilen illegales Material. Die Verbindung zur Berliner Parteileitung hält Max Hannemann über seine Frau Helene aufrecht. Sie nimmt als Kurier die Treffs in Fürstenwalde wahr. Helene schreibt 1985 für ihren Sohn Konrad:
Diese Arbeit unter den Augen der Gestapo […] währte bis Ende November 1934, als die ersten Verhaftungen [aus] unserer Gruppe erfolgten. Die Bezirksleitung in Berlin, zu der wir wieder Verbindung hatten, wurde sofort von Deinem Vater über die Situation in Frankfurt informiert und alle Aktionen abgebrochen. Auch wurden Maßnahmen getroffen, um weitere Verhaftungen zu verhindern.
Am 5. Dezember [1934] gegen 18 Uhr wurde Dein Vati aus der Wohnung […] verhaftet. Es folgten zwei Haussuchungen […] Am nächsten Morgen wurde ich […] gezwungen, Dich zu Deiner alten kranken Großmutter zu bringen. […] Du warst noch nicht zwei Jahre alt.
Zwei Tage wurde ich in der Verwaltungsstelle der Gestapo verhört […] und am Abend des zweiten Tages kam ich auch, da ich nichts aussagte, in das Polizeigefängnis. […] Schon bei der ersten Gegenüberstellung sah ich, dass Dein Vati misshandelt worden war. Sie hatten ihn bei strenger Kälte zwischen das Treibeis der Oder geworfen […] Nach etwa zehn Tagen wurden wir […] in das Strafgefängnis in Untersuchungshaft eingeliefert.
Max Hannemann und die gefassten Mitstreiter werden am 26. April 1935 wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor Gericht gestellt. Er wird als Hauptangeklagter zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Helene muss für ein Jahr in das Frauengefängnis Berlin Barnimstraße. Der gemeinsame Sohn Konrad kommt in ein Kinderheim und von dort zu Pflegeeltern. Die Trennung von Mutter und Kind wird drei Jahre dauern.
Max Hannemann verbüßt seine Haftstrafe im Zuchthaus Luckau und im Konzentrationslager im Aschendorfer Moor. Nach Abbüßung der Haftzeit wird er nicht freigelassen. Die Gestapo weist ihn zunächst wieder in das Gefängnis Frankfurt (Oder) ein. Hier erteilt man eine Besuchserlaubnis - Helene und der inzwischen sechsjährige Sohn besuchen ihn im Gefängnis an der Oder. Im Februar 1940 wird er in das Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin verlegt. Als politischer Häftling mit dem Roten Winkel gekennzeichnet, ist er die Nummer 17460 in diesem KZ. Nachrichten über das Grauen im Lager erfährt die Öffentlichkeit erst nach der Befreiung. Die letzte Nachricht von Max Hannemann ist mit Sonntag, den 28. Januar 1945 datiert. Aus dem Block 67 sendet er verspätet Grüße zum zwölften Geburtstag seines Sohnes Konrad. Der Sohn wird den Vater nie wieder sehen.
Helene Hannemann heiratet nach dem Krieg einen ehemaligen KZ-Häftling. Als Helene Papke engagiert sie sich im Aufbau der DDR. Doch das Konkurrenzdenken unter Frankfurter Antifaschisten erschwert die Ehrung der Widerstandsgruppe um Max Hannemann. Selbstherrlich wird in der SED entschieden, dass über die illegale Arbeit und den Prozess gegen Hannemann und seine Genossen nicht mehr öffentlich gesprochen werden darf. Helene leistet Widerstand gegen diese Entscheidung. Dann verkehrt sich das Verbot ins Gegenteil. Von ihr wird gefordert, insbesondere vor Jugendlichen über die Nazizeit zu sprechen.
Eine weitgehend objektive Aufarbeitung der Vorgänge um die Gruppe Hannemann erfolgt erst 1995. Helene Papke erlebt es nicht mehr, sie stirbt 1990.
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