M Jüdische Unternehmer in der Zwischenkriegszeit - Bettfedernfabrik Neumann
von Dorothee Ahlers
Hinter der großen Verkehrskreuzung am Oderturm, in der Lindenstraße, beginnt bereits die Gubener Vorstadt, die außerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern lag. Zur Blütezeit Frankfurts im 14. Jahrhundert wird bald eine Erweiterung der Handelsstadt notwendig, die hier vor den südlichen Toren der Stadt entsteht. Nach Niederlegung der Stadtmauern im 19. Jahrhundert entwickelt sich die Gubener Vorstadt zu einer bevorzugten Villengegend. Es siedelten sich hier zudem einige Fabriken an.
Ort dieser Station ist die Bettfedernfabrik Siegfried Neumann in der Gubener Straße 9. Das Gebäude mit der verblassten Aufschrift "Norddeutsche Bettfedernfabrik Siegfried Neumann" beherbergte seit seiner Errichtung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unterschiedliche Produktionsstätten. Gebaut wurde es als Malzfabrik und Brauerei. Ab den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts verarbeitet hier der jüdische Unternehmer Siegfried Neumann rohe Federn zu Bettfedern, die er im gesamten Deutschen Reich verkauft.
Auch Siegfried Neumann ist einer der erfolgreichen jüdischen Unternehmer in Frankfurt. Zusammen mit seiner Frau Frieda hat er drei Kinder. Die Familie ist wohlhabend und die Kinder werden streng preußisch erzogen. Sie verstehen sich als deutsche Patrioten und Siegfried hat im Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz erster Klasse erhalten. Die Familie ist jüdischer Herkunft, sie praktiziert jedoch ihren Glauben nicht.
Die Norddeutsche Bettfedernfabrik wurde bereits 1860 in Frankfurt gegründet. Anlässlich ihres 70-jährigen Jubiläums schreibt die Frankfurter Oder-Zeitung im Oktober 1930:
Am 30. Oktober kann die Frankfurter Norddeutsche Bettfedern-Fabrik Siegfried Neumann, Gubener Straße 9, auf ein Siebzig-jähriges Bestehen zurück blicken. Die Firma, im Jahre 1860 in Frankfurt (Oder) gegründet, nahm als eine der ersten im Osten Deutschlands die Bearbeitung von rohen Federn mit Handbetrieb vor. […] Seit Jahren ist die Firma im Besitz des jetzigen Inhabers, Siegfried Neumann, und zu einer hohen Entwicklung gelangt.
Im Jahre 1912 übernimmt Neumann die Fabrik von dem bisherigen Inhaber Julius Glück. Die Geschäfte entwickeln sich gut. 1922 kann Neumann von der Großen Scharrnstraße - wo sich die Fabrik seit Jahrzehnten befand - in die Gubener Straße 9 umziehen. Als einer der letzten jüdischen Fabriken in Frankfurt wird die Bettfedernfabrik in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 beschlagnahmt. Siegfried Neumann wird nach Sachsenhausen gebracht. Von dort kommt er völlig gebrochen zurück und verstirbt kurz darauf nach einer Operation.
Nach dem Zweiten Weltkrieg bezieht der Volkseigene Betrieb Bärensiegel die Fabrik in der Gubener Straße. Bis in die 90er Jahre hinein werden nun statt Bettfedern Spirituosen produziert. Die VEB Bärensiegel bewirbt sich nur mit einem kleinen Schild am Tor. So bleibt von der Norddeutschen Bettfedernfabrik Siegfried Neumann zumindest die Firmeninschrift auf der Mauer erhalten.
Siegfried Neumanns Sohn Gerhard Neumann (1919-1997) verließ Frankfurt 1938 im Alter von 19 Jahren und gelangte später zu einiger Berühmtheit. Noch in Frankfurt absolvierte er eine Lehre zum Automechaniker. Von 1936 bis1938 studierte er an der Ingenieurschule Mittweida und verließ Deutschland im Dezember 1939 in Richtung China. Dort kämpfte er in einem Freiwilligenkorps - ab 1942 Flying Tigers genannt - gegen die Japaner.
Nach dem Krieg wurde er US-amerikanischer Staatsbürger und arbeitete zunächst bei der Douglas Aircraft Company, ab 1948 dann bei General Electric. Dort blieb er sein gesamtes Leben lang. Für General Electric entwickelte er kernreaktorgetriebenen Strahltriebwerke für Flugzeuge. 1961 wurde er Geschäftsführer des Bereiches Flugantriebe und 1963 schließlich Vize-Präsident von General Electric; einen Posten, den er bis 1980 innehatte. Er hielt mehrere Patente und bekam zahlreiche Auszeichnungen wie die Goddard Gold Medal, den Guggenheim Award und die Otto-Lilienthal-Medaille und wurde in die National Aviation Hall of Fame aufgenommen.
Gerhard Neumann starb 1997 an Leukämie.
In der Gubener Straße 16 befindet sich die Villa der Familie Hirsch, von der wir bereits gesprochen haben. Sie beherbergt heute ein Studentenwohnheim.
|